Dienstag, 29. September 2009

Bei der Arbeit

Der Grund, warum ich ueberhaupt hier in Bangalore bin, ist mein Praktikum - und so langsam ist mal Zeit, etwas mehr davon zu erzaehlen. Anfangen will ich aber mit einem kurzen Ueberblick ueber ein paar Unterschiede, die kulturell zwischen Deutschland und Indien in der Beziehung bestehen (etwas polarisiert):
Grundsaetzlich sind Hierarchien steiler und wichtiger als in Deutschland. Der Chef ist hier noch eine Autoritaet, ein wahrer Patriarch, der sich fuer seine Angestellten einsetzt, im Gegenzug aber absolute Loyalitaet erwartet. Dabei erstreckt sich die Beziehung der Angestellten untereinander, als auch gegenueber dem Chef, auf mehr als die Themen, die direkt mit der Arbeit zu tun haben. Selbstverstaendlich ist der Vorgesetzte einbezogen in wichtige private Entscheidungen wie Hochzeit, die Geburt von Kindern oder bedeutende andere Ereignisse. Wo er kann, hilft der gute Chef auch, selbstverstaendlich ist auch Sonderurlaub drin, wenn die Tante ins Krankenhaus muss. Die Trennlinie zwischen Privatem und der Arbeit ist weit weniger scharf als in Deutschland. Allerdings sind natuerlich die Arbeitsbedingungen nicht gerade das, was den DGB jauchzen lassen wuerde. Hoher Druck, hohe Arbeitsbelastung, scheussliche Arbeitszeiten (z.b. mitten in der Nacht) und eine 6-Tage-Woche sind auch bei Angestellten mit Universitaetsabschluss keine Ausnahme.
Eine Welt, in die ich wenig Einblick habe, ist aber die der kleinen Shops an der Strasse, Baufirmen und aehnlichem, wo die unqualifizierten Wanderarbeiter arbeiten. Angeblich sind Gehaelter von etwa einem Dollar am Tag plus Mittagessen normal auf dem Bau, wer Glueck hat bekommt noch eine Ecke auf dem Baugelaende und ein paar Plastikplanen, um damit eine Huette zu bauen. Natuerlich leben und arbeiten Millionen hier wie in jedem Entwicklungsland unter fuer Deutschland unvorstellbaren Bedingungen, aber darauf will ich hier nicht eingehen.
Bildung ist hier der Schluessel zu einem besseren Leben, viel staerker als in Deutschland. Eine gute Ausbildung bedeutet: Ein renommierter Arbeitgeber, die Chance auf ein gutes Gehalt, Konsum der ueber Nahrung, Kleidung u.ae. hinausgeht und die Rechtfertigung, dass die Eltern zu Recht ein kleines Vermoegen in die Ausbildung investiert haben. Und tatsaechlich sind die Gehaelter zwar in Euro umgerechnet gering, aber bei einem BIP pro Kopf von etwa 500 euro pro Jahr ist ein Monatsgehalt von 400-500 euro zum Einstieg schonmal nicht schlecht. (entspraeche in Deutschland grob 20.000 euro, nur so zur Relation).
So, jetzt aber mal dazu, was ich so mache bei meinem Praktikum. Die Firma bei der ich arbeite, ist ein Beratungsunternehmen, das sich auf Diversity Management spezialisiert hat. Und zwar diversity unter den Angestellten, Kunden sind meistens Grossunternehmen, in der Regel die grossen Multinationals aus IT, Finanzen oder auch Telekommunikation. Die wichtigsten Beratungsgebiete sind dabei das Thema Frauen (Mutterschutzregelungen, Gleichberechtigung, ...), Diskriminierung (z.B. von Homosexuellen, Frauen, Behinderten, ...) und der Bereich Mobbing/Belaestigung. Dabei gibt es verschiedene Angebote an die Kunden: Eine Moeglichkeit ist, eine mehrstuendige Session mit ausgewaehlten Personen im Unternehmen zu machen, in der das Problemfeld erlaeutert wird, diskutiert wird und damit erreicht wird, dass die fuer bestimmte Teams verantwortlichen Manager mit dem Thema vertraut sind und gegebenenfalls richtig reagieren und Probleme als solche erkennen koennen. Ein anderes Angebot ist es zum Beispiel, in einem Bereich (wie z.B. Mutterschutzregelungen) fuer ein Unternehmen ein Programm zu erarbeiten. Ausserdem gibt es noch verschiedene andere Angebote, offene Beratungsworkshops und aehnliches.
Ich bin von meinen 4 Kolleginnen super aufgenommen worden, alle sind total nett, immer bereit mir etwas zu erklaeren und sich zu unterhalten und ich fuehle mich im Buero immer total wohl. Die Aufgaben die ich bekomme, sollen (laut Chefin) so sein, dass ich dabei moeglichst viel lerne - das heisst ich habe noch nichts machen muessen, was reine Beschaeftigung waere und bin eigentlich ueberrascht, wie viel mir zugetraut wird!
Und jetzt gibts noch ein paar Beispiele dafuer, was ich bisher gemacht habe:
- Einen Unternehmensblog erstellt (ist noch nicht oeffentlich)
- Eine Untersuchung zum Thema Mutterschutz ausgewertet
- Eine 30-minuetige Session zum Thema Generational Diversity vorbereitet
Und im Moment arbeite ich gerade daran, wie wir Unternehmen in ein Ranking zum Thema Diversity packen koennten.
Abschliessend bleibt mir nur zu sagen, dass es wirklich Spass macht bei interweave. Ich weiss, dass ich ein riesen Glueck hatte mit meinem Praktikum und habe mich morgens noch nie geaergert, dass ich ins Buero muss!

10 Kommentare:

  1. Deine Arbeit scheint tatsächlich sehr interessant zu sein! Andere Praktikanten dürfen nur Kaffee kochen oder müssen Fenster putzen.

    Jetzt meine Fragen:
    Sind die Chefs in der Regel Männer? Oder gibt es auch Frauen in den Führungsebenen?
    Sind deine Kollegen Gewerkschaftsmitglieder? Oder ist das nicht erwünscht?
    Arbeitszeiten mitten in der Nacht? Ein Indiz, dass es nicht sehr viele Arbeitnehmerrechte gibt?
    Du schreibst, dass der Status sehr von der Bildung abhängt. Aber ich vermute, dass Bildung sehr vom Geldbeutel abhängt, d.h. Privatschulen und Privatunis eine große Rolle spielen. Stimmt das? Und wenn ja, wird das als Problem wahrgenommen?
    Wie sehen deine Arbeitszeiten aus?

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  2. Erstmal: Danke dass du so regelmaessig Kommentare schreibst, ohne dich waere das hier ziemlich oede... ;-)
    Chefs sind oft Maenner, aber nicht immer. In meinem Fall z.B. eine Frau, aber das Problem maennerdominierter Fuehrungsetagen gibt es hier wie in Deutschland auch. Gewerkschaften gibt es hier, aber die sind nicht so wichtig fuer die Hochqualifizierten. Ich denke nicht dass meine Kollegen da Mitglied sind - high professionals brauchen die Gewerkschaften hier nicht so dringend denke ich. Ein Problem waere es denke ich aber nicht.
    Arbeitnehmerrechte sind hier mehr eine Frage, wie viel man geben muss und was sich lohnt. Gut qualifizierte Arbeitnehmer vor allem in den High-Tech Industrien sind rar und gesucht, deswegen sind die Arbeitsbedingungen da gut. Bei gering qualifizierten sieht das anders aus. Arbeitszeiten in der Nacht hat man z.B. wenn man fuer eine US-Firma arbeitet und die amerikanischen Arbeitszeiten einhalten muss. (d.h. von 8-17 Uhr US-Zeit)
    Private Bildung ist ueblich, fuer alle die es sich leisten koennen. Und zwar ab der Grundschule. Die besten Unis sind aber staatlich (was nicht heisst, dass sie kostenlos waeren), aber es gibt Quoten fuer die Unterschichten, das mindert immerhin die Auslese. Aber der Geldbeutel ist entscheidend, schon richtig... als Problem wird es wahrgenommen, aber Tatsache ist: Es gibt nicht genug Ressourcen fuer alle, es gibt kein Verteilungsproblem wie in Deutschland, sondern das Problem die Dinge erstmal bereit zu stellen...
    Meine Arbeitszeiten sind ca. 9.20 - 17.30 Uhr, je nachdem. Und so um halb 2 mache ich 20 minuten Mittagspause. Offiziell ist 9-18 Uhr, aber da ist ne halbe stunde am Anfang und Ende normal, vor 9.15 ist niemand im Buero. ;-)

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  3. Lob zurück! Deine Beiträge sind sehr interessant!! So bekomme ich Einblick in ein mir weitgehend unbekanntes Land. Reisen bildet!! Und Praktikanten in Indien bilden auch!!
    Die Personen, die sich an amerikanische Arbeitszeiten halten müssen, arbeiten in Callcentern?
    20 Minuten Mittagspause ist aber nicht viel. Da lobe ich mir den Arbeitsrhythmus in Portugal.
    Ganz andere Frage: hast du schon den größten Abwrackplatz der Welt für Schiffe besucht? Das wäre sicher ein interessanter Ausflug.
    Hier ein Link dazu: http://www.epochtimes.de/articles/2009/03/06/416288.html

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  4. Callcenter sind sicher dabei, aber das ist kein so grosses Business, wie man in Deutschland manchmal denkt. Wichtiger sind IT-Center, die fuer Bueros in den USA arbeiten und parallel aktiv sein muessen. Also high-tech jobs, kein reines outsourcing.
    Beim Schiffsabwrackplatz war ich noch nicht, ist aber bestimmt interessant, auch unter dem Gesichtspunkt Arbeitszeit und -umstaende! Schon traurig, wie wir Europaeer und Amerikaner die dritte Welt ausbeuten und die Drecksarbeit "exportieren"...

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  5. Kennt man eigentlich in Indien Herrn Rüttgers?
    Sieht man sich in Indien als Land der Dritten Welt?
    Welche Rolle spielt im Alltag die Religion?

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  6. Haha, glaube nicht dass hier jemand "Kinder statt Inder"-Kampagnen mag, wahrscheinlich ist es besser es kennt ihn niemand. Mich hat noch niemand auf ihn angesprochen, ist mir auch lieber so...
    Also Indien sieht sich einerseits schon als Land der dritten Welt, man ist sich der damit verbundenen Probleme auch bewusst. Aber andererseits sieht man sich auch als kommende Weltmacht, wirtschaftlich auf der Ueberholspur und vor einer grossen Zukunft.
    Die Religion spielt eine wichtige Rolle im Alltag. Allerdings habe ich es so kennen gelernt, dass Religion etwas sehr privates ist, das heisst andere Religionen werden akzeptiert und niemandem wird etwas aufgezwungen. Der Hinduismus ist auch sehr individuell, mit eigenen Schreinen zu Hause, Tempelbesuchen wann man will (kein Gottesdienst oder sowas) und jeder kann den Gott verehren, den er moechte. Sehr tolerant im Vergleich zum Christentum!

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  7. Welche Religionen gibt es außer dem Hinduismus noch in Bangalore? Gibt es auch Kirchen und Moscheen?
    In deinen Gastfamilien standen hinduistische Schreine? Wurde dann dort täglich gebetet?
    Allerdings hat es doch in Indien auch schon gewaltsame Konflikte zwischen Hinduisten und Moslems gegeben. Ist Bangalore davon verschont geblieben?

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  8. So, jetzt geht meine Tastatur wieder - sorry fuer die lange Stille von meiner Seite!!
    In Bangalore (wie in ganz Indien) gibt es neben dem Hinduismus noch Muslime (in Indien etwa ein Viertel der Bevoelkerung), ausserdem Christen (eher im Sueden von Indien) und natuerlich alles moeglich andere. Erwaehnen sollte man noch die Sikhs, das sind die Maenner mit den Turbanen. Kirchen und Moscheen gibt es viele, natuerlich nicht so viele wie hinuistische Tempel, aber viel mehr Vielfalt als in Deutschland!
    In der einen Gastfamilie bei der ich eine Woche war stand ein kleiner Schrein. Gebetet wurde aber nicht taeglich, sondern nur an besonderen Tagen. Die Religion ist im Hinduismus auch weniger organisiert und viel staerker privat als z.b. das christentum.
    Soweit ich weiss gab es die ganz grossen Konflikte zwischen den Religionen nicht in Bangalore, sondern eher im Norden von Indien. Und da gibts echt boese Geschichten, von der Ermordung von Indira Gandhi durch ihre eienen Leibwaechter bis zum Sturm auf den Tempel in Amritsar. Aber das wuerde jetzt zu weit gehen. Im taeglichen Leben gibts aber soweit ich das beurteilen kann kaum Konflikte zwischen den Religionen...

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  9. Dafür geht mein Headset noch immer nicht...
    Warum tragen bei den Sikhs nur die Männer Turbane?
    Gibt es religiöse Feiertage? Und falls ja, werden dann in ganz Indien hinduistische, moslemische und christliche (was ist Adjektiv zu Sikhs?)Feiertage begangen?
    Ich glaube, dass einige Parteien in Indien eindeutig religiös zugeordnet werden können. Stimmt das?

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  10. Das mit den Sikhs ist eine gute Frage, weiss ich aber leider nicht. Kann aber dafuer noch hinzufuegen, dass sich unter dem Turban die Haare befinden, Sikh-Maenner duerfen naemlich keine Haare schneiden. Der Turban dient dazu, sie zu bedecken.
    Religioese Feiertage gibt es, wie bei uns auch. Und im prinzip sind das hinduistische, mit ein paar Ausnahmen. Genau weiss ich es aber nicht - alle Feiertag die ich bisher hatte, waren hinduistische.
    Ja, ich glaube es gibt schon religioese Parteien. Aber zumindest die grossen und entscheidenden sind nicht religioes (oder so wie die CDU christlich ist). Interessant ist ja auch, dass ein Sikh Premierminister ist, obwohl seine Religion eine kleine Minderheit ist. Und kein Mensch findet etwas dabei...
    Religioese Fanatiker gibts aber ueberall, auch in Indien. Radikale Parteien sind aber nicht stark genug, um etwas ausrichten zu koennen.

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