Freitag, 28. August 2009

Zu Hause

Familienleben ist etwas spannendes, vor allem wenn alles fremd ist. Ich habe inzwischen insgesamt 2 Wochen bei indischen Freunden zu Hause gewohnt und es ist immer wieder sehr interessant.
Zuerst mal zu den Rollen zu Hause: Der Vater gilt als das Oberhaupt der Familie - seine Meinung ist wichtig und es wird ihm auch Respekt gegenüber gebracht. Nicht unterwürfig, aber doch sichtbar. Dabei ist er die meiste Zeit überhaupt nicht zu Hause, weil ein Arbeitstag in der Regel mindestens 8-9 Stunden plus 2 Stunden Verkehr bedeutet. Die Mutter ist für alles verantwortlich, was mit Hausarbeit zu tun hat. Bei meinem aktuellen homestay bedeutet das (ich habe sie gefragt) ca. 5 Stunden kochen pro Tag, plus mindestens 2 für putzen und waschen. Der Rest geht dann mit einkaufen usw drauf. Wenn die Frau arbeitet, bedeutet das aber nicht, dass der Vater ihr Arbeit abnehmen würde - stattdessen kommt dann in der Regel eine Putzfrau, dir für wenig Geld jeden Morgen sauber macht und die man nie aus den Augen lassen darf, weil ihr nicht vertraut wird.
Die Familien bei denen ich war, sind alle Mittelschicht, d.h. die Eltern können z.B. genug englisch, um sich zu unterhalten. Der Dialekt ist gewöhnungsbedürftig, aber die Kommunikation ist kein Problem. Auffallend ist, dass man immer und überall umsorgt wird. Und zwar in der Regel mit Essen, vorzugsweise scharfem.
Von den Kindern wird bei der Hausarbeit nichts erwartet, dafür sind sie aber darauf getrimmt, schulische bzw. universitäre Leistungen zu erbringen. Schließlich zahlen die Eltern auch extrem hohe Studiengebühren dafür, dass ihre Kinder studieren können. (mindestens ein durchschnittliches Gehalt pro Kind) Und die Kinder wissen, welche Erwartungen auf ihnen lasten - der Traum von einem besseren Leben.
Dass dieser Traum durch die Wirtschaftskrise gerade ins Wanken gerät sieht man daran, dass viele Absolventen trotz schriftlicher Zusagen von so namhaften Unternehmen wie SAP, Oracle, IBM, Accenture und anderen immer noch auf einen Termin warten, an dem sie anfangen können.
Die Familien bei denen ich war, waren mir gegenüber alle total aufgeschlossen und begierig darauf, ihre Kultur mit mir zu teilen und etwas über Deutschland zu erfahren. Deutlich sichtbar war das auch keine geheuchelte Offenheit, sondern ehrliches Interesse.
Seltsam ist das Verhältnis der Eltern zu Freiheiten ihrer Kinder: Eine Liebesbeziehung ist ein tabu und wird wenn überhaupt heimlich ausgelebt (wobei Küssen in der Regel das Maximum ist, zu dem die 18-25-jährigen bereit sind). Den Eltern gegenüber wird sowas aber nie erwähnt, schließlich behindert eine Beziehung ja potentiell die Karriere. Auch die arrangierte Ehe ist absolut kein Tabu, wobei die Kinder inzwischen immerhin aus ein paar Vorschlägen ihrer Eltern auswählen dürfen. Den künftigen Ehepartner vor der Hochzeit einmal ohne Aufsicht zu sehen, geht aber wiederum überhaupt nicht. Auch abends spät nach Hause zu kommen, ist unmöglich. Eine Freundin, bei der ich eine Nacht zusammen mit einem chilenischen Freund übernachtet hatte, hat ihren Fehler, erst um 22 Uhr zu Hause zu sein (obwohl sie ihren Eltern Bescheid gesagt hatte), deutlich zu spüren bekommen. Und auch sonst ist 20 Uhr das Maximum, was man sich als indischer Sohn oder Tochter erlauben kann. Nicht zu vergessen, das bezieht sich alles auf Erwachsene!
Trotzdem war es in den indischen Familien, in denen ich war, immer schön - gemütlich, gute Stimmung und viele freundlichen Worte und Interesse. Die Erfahrung, die ich dort machen konnte, ist mir viel wert und ich bin meinen Freunden hier dankbar, die mich in ihren oft engen Wohnungen so liebevoll untergebracht haben!