Sonntag, 29. November 2009

Meine Zeit in Indien: Top & Flop

Noch 36 Stunden und ich steige ins Flugzeug, eine Boeing 747 der Lufthansa. Bangalore - Frankfurt nonstop, Platz 35H. Ich werde muede sein und mich auf eine ungemuetliche Nacht freuen - Check-In ist ab 2.45 Uhr nachts. Vielleicht ist es Zeit, ein bisschen Resuemee zu ziehen.
Ich hoffe euch hat der Blog bisher gefallen, das ist der letzte Post. :-(
Hier nun also die ultimative Top / Flop Liste meines Indien:

Top: Essen
Ungewohnt war das Essen, vor allem am Anfang. Dazu auch noch das Essen mit den Haenden! Aber ganz ehrlich: Fast alles (bis auf Reis mit Joghurt) schmeckt hier echt super gut und so scharf empfinde ich es auch nicht mehr. Habe es echt genossen hier indisch zu essen, ob zu Hause, bei Freunden oder im Restaurant. Ich werde kein Vegetarier werden - aber man kann super vegetarisch essen!
Flop: Verkehr
Der Verkehr ist hier fast immer ein grosses Chaos. Ob man als Fussgaenger unterwegs ist, im Bus oder im Auto, immer ist es stressig und man freut sich aufs ankommen. Autofahrer sind hier meistens ziemlich ruecksichtslos, wer zuerst kommt faehrt zuerst und wer staerker ist hat Vorfahrt. Der Fussgaenger also nie. Dazu kommt dass oft Stau ist und die Strassen oft nicht gut sind. Und die Busse oft total ueberfuellt. Dass das ganze auch sehr gefaehrlich ist, brauche ich glaube ich nicht weiter beschreiben...
Top: Atmosphaere
Es vergeht kaum ein Tag, an dem man an einer Hochzeit vorbeifaehrt, einem Strassenfest oder sonst irgendeiner Feier. Immer dabei: Musik, die laut und schoen alles in eine froehliche Atmosphaere huellt. Auf ein Laecheln bekommt man immer auch ein Laecheln zurueck - und trotz aller Wiedrigkeiten des Lebens wirken die meisten Leute zufrieden und mit ihrer Welt im Reinen. Fast immer habe ich die Atmosphaere in der Stadt als angenehm empfunden, nie stressig.

Flop: Ich bin kein Dollarschein

Man hat hier viele Vorteile als Auslaender. Und einen ganz grossen Nachteil: Alle sind der Meinung, dass man reich ist. Das bedeutet, dass man bevorzugt angebettelt wird und oft zu hohe Preise verlangt werden. Vor allem das angebettelt werden ist mir unangenehm, vor allem bei Kindern. Auf der einen Seite sollten die in die Schule gehen anstatt zu betteln - wenn ich ihnen etwas gebe, gehen sie also erst recht nicht in die Schule. Auf der anderen Seite weiss ich genau, dass sie wahrscheinlich hungrig sind und ganz sicher die Familie sehr arm - falls sie nicht sogar von organisierten Banden ausgebeutet werden. Dem einzelnen Kind wuerde ich also sehr helfen, wenn ich ihm etwas Geld gebe. Egal wie, ich habe mich immer
unwohl gefuehlt in so einer Situation!

Top: Wetter
Wenn ich mir den Wetterbericht von Deutschland anschaue, dann ist das Wetter hier doch echt mindestens 2 Klassen besser! Bis auf seltene sehr starke Regenschauer, die innerhalb von 5 Minuten alles ueberschwemmen, war immer gutes Wetter. Das heisst nicht nur Sonne, sondern auch angenehm warme Temperaturen, auch Abends und frueh morgens. Superklasse, 5 Monate Sommer am Stueck!

Flop: Umweltverschmutzung

Die Umweltverschmutzung hier ist zum Teil atemberaubend. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Die Abgase der Autos sind einfach Wahnsinn, vor allem bei LKWs und Rikschas. Es ist mir eigentlich unbegreiflich, warum man nicht zumindest ein paar einfache Filter vorschreibt, ich will gar nicht wissen wie viele Menschen hier an Atemwegskrankheiten leiden wegen dem Verkehr. Dazu kommt, dass auf den Strassen hier sehr viel Muell rumliegt, oft sogar kleine wilde Muellhalden, die man in etwa 20 Meter Umkreis riechen kann. Oeffentliche Muelleimer gibts uebrigens nicht.

Top: Schoenheit des Landes

Ich war nicht nur in Bangalore, sondern bin ja auch rumgereist. Und Indien ist einfach wunderschoen. Sehr vielfaeltig und teilweise umwerfend. Da sind die Bauwerke, seien es Tempel, Ruinen von Palastanlagen, Palaeste, der Taj Mahal, alte Burgen, ... so viel zu entdecken und so anders und doch einfach schoen. Dann gibt es die Landschaft, sattgruene Berge, Sandstraende, Kuesten, backwaters, Tiere die man als Deutscher nur aus dem Zoo kennt, Regenwald - und das Leben auf dem Land, Hirten die unter einem Baum sitzen und ihre Ziegenherden hueten, Kinder die auf den Feldern spielen, Frauen in bunten Saris. Und natuerlich ist die Architektur, das Leben irgendwie anders, teilweise erst auf den zweiten Blick aber immer sichtbar.

Flop: Armut und soziale Extreme
Wer der Meinung ist, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland zu gross ist, muss mal nach Indien kommen. Hier gibt es mehr Dollarmillionaere als in den USA, Rollce-Royce, BMWs, Mercedes mit Chauffeur auf den Strassen, ummauerte Siedlungen fuer die Reichen, hochmoderne Flughaefen. Und gleichzeitig lebt die Haelfte der inder von weniger als 1,30 Euro am Tag, werden Demonstrationen fuer einen Mindestlohn von 10 cent die Stunde gewaltsam aufgeloest. Es gibt fuer viele Menschen keine Krankenversorgung, Menschen schlafen nachts auf dem Gehweg, suchen im Muell nach Essen. Die Gegensaetze sind einfach Wahnsinn - das moderne Indien stramm auf dem Weg in die Moderne und das alte Indien gefangen im letzten Jahrhundert, ohne Chance auf ein besseres Leben.

Top: Die Leute

Am besten hier waren die Menschen, mit denen ich zu tun hatte. Angefagen bei Freunden von der Melton Foundation, bei denen ich zu Hause wohnen durfte, die mich immer wieder eingeladen haben, mir geholfen bei allem was ich gebraucht habe und die immer fuer mich da waren. Und einfach super Freunde sind!! Aber auch bei meinem Praktikum waren wirklich die Kollegen das, was das Praktikum zu dem gemacht hat was es war. Ich habe mich immer gefreut ins Buero zu gehen und glaube nicht dass ich nochmal in meinem Leben einen Arbeitsplatz mit so einem netten Team habe! Und auch unterwegs, im Bus, in Cafes, ... wo auch immer ich mit Leuten ins Gespraech gekommen bin, waren sie sehr nett, interessiert, aufgeschlossen und sehr freundlich und hilfsbereit. Die Menschen hier sind eindeutig das beste an Indien!

Sonntag, 22. November 2009

Einkaufen & Shopping

Szenario 1: Ich gehe aus meiner Wohnung, den Flur entlang und trete in den Innenhof des Wohnkomplexes. 50 Meter weiter, die Waerter am Tor gruessen wie immer freundlich und ich gehe raus auf die Strasse, auf der der Verkehr viel zu schnell entlangrast. Gegenueber, auf der anderen Strassenseite, steht wie immer ein Fischverkaeufer. Er hat einen Wagen, im Prinzip ein Holzbrett auf vier gleich grossen Raedern, auf dem verschiedene Fische liegen, auf die er immer mal wieder Wasser giesst, um sie zu kuehlen. Ich laufe an ihm vorbei und in Richtung Supermarkt, etwa 500 Meter die Strasse die senkrecht zum Wohnkomplex steht entlang. Gleich hinter dem Fischverkaeufer werden rechts auf dem Gehweg verschiedene toenerne Gefaesse verkauft, Vasen, Blumentoepfe, kleine Gefaesse. Auf der anderen Strassenseite steht ein Obstverkaeufer, er hat verschiedene Sorten Obst an seinem Stand aufwaendig gestapelt, sieht super aus und das Stapeln laesst die Ware natuerlich auch besser aussehen. Wenn ich die Strasse weiterlaufe, komme ich an verschiedenen kleinen Laeden vorbei, noch mehr Obstverkaeufern, Schuhflickern auf dem Gehweg, einem kleinen Schreinerladen, einem Frisoer, Schreibwarenladen, Restaurant, ... alles im Kleinformat, ueberall selbstverstaendlich mit Beratung. Bald bin ich beim Supermarkt angekommen, der ist relativ klein und es gibt immer unterschiedliche Sachen. Manche Sachen sind laut Verfallsdatum schon abgelaufen, aber man bekommt alles was man normalerweise so braucht im Haushalt, von Lebensmitteln, Obst ueber Zeitschriften, Kosmetika, Waschmittel, Gewuerze bis hin zu Eiscreme und Chips. Etwa 2 Mal pro Woche gehe ich da einkaufen, vor allem weil ich kein Leitungswasser trinke und deshalb immer viel Wasser kaufe.Szenario 2: Ich steige aus der Rikscha aus, an der Kreuzung MG Road / Briget Road im Stadtzentrum. Sofort stehen mindestens zwei Strassenverkaeufer neben mir, der erste will mir ein kleines hoelzernes Schachbrett verkaufen, der andere bietet original Sonnenbrillen fuer unter 2 Euro an. Natuerlich kaufe ich nichts davon, ich danke freundlich und laufe weg, die Briget Road entlang. Kaum eine halbe Minute spaeter wird mir schon wieder ein Schachbrett angeboten, diesmal hat der junge Verkaeufer aber auch noch Marihuana im Angebot. Inzwischen bin ich umgeben von Geschaeften, vor allem Kleidung wird hier verkauft. Ich laufe vorbei an Markenstores von Levis, United Colors of Benetton, dann kommt ein Geschaeft fuer teure Anzuege, daneben ein Schuhgeschaeft und gegenueber ist auch schon McDonalds. Und weiter gehts: Adidas, Nike, Reebock, Wrangler, ... alle sind sie vertreten und hoffen auf zahlungskraeftige Kundschaft. Und fuers leibliche Wohl gibt es nicht nur McDonalds - Kentucky Fried Chicken, Donut Baker, Pizza Hut und in einer Seitenstrasse dutzende relativ teure Restaurants, in die sich die meisten Inder hier wohl nie verirren wuerden. Und zwischendurch immer wieder kleine Staende, die Schmuck, Obst, Kleidung oder Guertel auf der Strasse verkaufen - guenstig und immer erst mit Feilschen zu einem annehmbaren Preis zu bekommen. Mein Guertel haelt uebrigens schon seit 3 Monaten gut, die Qualitaet ist also in Ordnung (trozt einem Preis von unter 3 Euro). Die Beschreibung will ich hier mal abbrechen, wenn man weiter geht kommt man zu Cafes und einem Shoppingcenter.Die Einkaufswelten sind sehr verschieden und irgendwie ist fuer jeden was dabei. Supermaerkte wie wir sie in Deutschland kennen, gibt es hier nur wenige - man kauft nicht einmal fuer die ganze Woche ein, sondern frisch jeden Tag beim Laden oder Strassenhaendler um die Ecke. Und das Essen wird fast immer ausschliesslich aus frischen Zutaten zubereitet, mal abgesehen von Reis, Mehl, Salz und anderen Gewuerzen, die natuerlich gelagert werden. Trotzdem ist hier vieles aus Europa zu bekommen, wenn auch zu teilweise astronomischen Preisen: Barilla-Nudeln, Nutella oder Ritter Sport gibts ohne Probleme zu kaufen, Pesto und Pringles natuerlich auch.Shoppen im Sinne von Kleidung, Schuhen oder Elektroartikeln ist fast wie in Europa. Die Markenlaeden verkaufen die gleichen oder aehnliche Produkte zu etwas geringeren Preisen, allerdings muss man sich damit abfinden, dass man immer beraten wird, auch wenn man das nicht will. Selbst wenn man ausdruecklich sagt, dass man sich nur alleine umschauen will, reduziert das die Anteilnahme des Beraters nur darauf, dass er einem in etwa einem Meter Abstand folgt und immer aufmerksam beobachtet. Elektromaerkte gibt es natuerlich, nicht so gross wie Media Markt, aber gross genug um das zu bekommen, was man will. Genauso verhaelt es sich mit Buechern, die im uebrigen fast alle auf englisch sind - und etwa die Haelfte des deutschen Preises kosten. Buecher und CDs / DVDs gibts auch illegal auf der Strasse zu kaufen, zumindest die Buecher sind aber oft wellig und sehen nach nicht besonders guter Qualitaet aus. Trotzdem wohl viel billiger und das gleiche drin!Insgesamt ist Bangalore in Indien wohl eine Ausnahme, was das Einkaufen angeht, in vielen anderen Staedten ist die Auswahl wohl nicht so gross. Das liegt bestimmt daran, dass es hier verhaeltnismaessig viele Auslaender gibt, ausserdem durch die ganzen IT-Unternehmen eine relativ grosse Mittelschicht, die sich das entsprechende Geldausgeben leisten kann...

Freitag, 13. November 2009

Gree(i)ndia?

Smogwolken liegen ueber Bangalore. Jeden Tag, jede Nacht, zu jeder Jahreszeit. Die Luftverschmutzung ist so stark, dass ich die ersten Wochen hier immer Halsschmerzen bekam, wenn ich mehrere Stunden im Freien war. Den Himmel habe ich hier noch nie in richtig sattem blau gesehen, jeder Sonnenuntergang ist spektakulaer schoen - ein sicheres Zeichen hoher Luftverschmutzung. Ich frage mich, ob Kinder, die hier aufwachsen, in ihrem Leben schon einmal saubere Luft geatmet haben. Auf der Strasse sieht man die Abgaswolken entlangwabern, Rikschas und LKWs sind am schlimmsten.Bangalore ist keine Ausnahme in Indien. Oder besser: Bangalore ist eine der wenigen Metropolen mit 10+ Millionen Einwohnern ohne nennenswerte Industrie. Und die Stadt hat es auch nicht in die gerade veroeffentlichte Liste der durch Umweltverschmutzung am meisten gefaehrdetsten Staedte Asiens geschafft, wie es in den Staedten die am schlimmsten dran sind (wie Jakarta, Dhaka, Kalkutta) aussieht, will ich lieber gar nicht wissen. Wegen der vielen Gruenanlagen hat Bangalore den Spitznamen "Garden City".
Im Dezember ist in Copenhagen die UN Weltklimakonferenz und nur noch wenige zweifeln daran, dass die Menschheit langsam mal damit anfangen sollte, den CO2-Ausstoss zu verringern. Nur ist man sich leider nicht einig, wer seine Emissionen reduzieren soll und vor allem wie stark.
Deutschland sieht sich gerne als Vorreiter beim Klimaschutz (ausser wenn es um die Autoindustrie geht natuerlich) und hat tatsaechlich auch eine relativ geringe CO2-Intensitaet der Wirtschaft. Zufall? Viel haengt davon ab, womit Energie erzeugt wird, welche Industriezweige besonders stark vertreten sind und wie Mobilitaet organisiert ist.
Der wesentliche Knackpunkt wird sein, wer wie viel Emissionen reduziert und vor allem wer das ganze bezahlt. Das Problem ist naemlich: Wenn ich meine Emissionen reduziere, profitieren wir alle. Aber bezahlen muss ich alleine. Also warte ich doch lieber, bis ihr eure Emissionen senkt, profitiere davon und schummle ein bisschen bei meiner Reduktion. Das ist stark vereinfacht das ganze Problem bei den Verhandlungen.
Indien ist zwar gross und zunehmend eine Weltmacht, aber Indien ist vor allem ein Entwicklungsland. Mehr als die Haelfte der Bevoelkerung lebt von weniger als 2 US$ am Tag, Elektrizitaet und fliessendes Wasser sind auf dem Land die Ausnahme und ein Auto demonstriert wie wenig anderes gesellschaftlichen Erfolg.
Das Argument, dass alle ihre Emissionen senken sollten, das Deutschland und der ganze "Westen" so gerne bringen, zieht hier nicht: Warum sollen in Indien nicht auch alle Familien ein Auto haben duerfen? Warum hindet man das Land daran, durch Wirtschaftswachstum Armut zu bekaempfen? Ist es nicht wichtiger, dass keine Kinder mehr hungern, als die Industrien zu schliessen, die zwar die Umwelt verpesten aber hunderttausenden ungebildeten Arbeitern Jobs geben?
Ausserdem geht es hier um Gerechtigkeit: Die Abgase, die bis jetzt in der Luft sind, kommen vor allem aus Europa und den USA. Also sollen die doch auch erstmal anfangen, ihren Ausstoss zu verringern! Ausserdem geht es hier nicht darum, ob Solarfusion, Photovoltaik, Wind oder Geothermie wohl effizienter ist, sondern ob es ueberhaupt Strom gibt. Solange die USA und Europa ihre Emissionen nicht senken, was sie bisher nicht gemacht haben - ausser 2009 wegen der Wirtschaftskrise, die super fuer das Klima ist - sieht man hier keinen Grund darin, jetzt vorzupreschen.
Bisher war die Position Indiens: Wir reduzieren unsere Emissionen, wenn ihr (also der Westen) es bezahlt. Wozu Europa und die USA natuerlich nicht bereit sind.
Vor ein paar Monaten gab es dann die erste verbindliche Zusage der indischen Regierung: Indien wird pro Kopf niemals mehr Abgase emittieren als der Durchschnitt von Europa und den USA. Bisher ist man bei 7%. Und das ganze ist eigentlich auch gerecht. Warum darf ein Europaeer pro Kopf mehr emittieren als ein Inder? Wegen der Hautfarbe? Weil wir die Kolonien so gut ausgebeutet haben dank unserer dreckigen Industrien daheim?
Aber jetzt man einen Schritt weiter: Angeblich ist die Regierung bereit, ein Abkommen zu unterzeichnen, das explizite Grenzwerte auch fuer Indien enthaelt - wenn diese nicht an den bisherigen Emissionen festgemacht werden.
Mal ganz ehrlich: Klar muss man die Emissionen weltweit senken. Aber ist es nicht verdammt unfair, wenn man jetzt sagt, alle ab sofort nicht mehr die Emissionen steigern? Damit bestraft man die Entwicklungslaender dafuer, dass sie bisher so wenig Luftverschmutzung produziert haben!!
Eine Loesung habe ich hier nicht. Aber ich hoffe die Position von Indien wurde etwas klarer. Die Regierung sieht sich selbst dabei (laut Zeitungen) als Vermittler zwischen Industrie- und Entwicklungslaendern. Die Entscheidung der Regierung, grundsaetzlich zur Unterzeichnung eines Abkommens auch dann bereit zu sein, wenn es Grenzwerte fuer Indien enthaelt, hat zu Protesten innerhalb der Regierung und der Regierungspartei gefuehrt.
Uebrigens ist man sich hier sehr bewusst, dass Ressourcen endlich sind. Wasser und Strom werden gespart wo es moeglich ist, bei mir haben auch schon Schulkinder geklingelt, die die ganze Wohnsiedlung darueber aufgeklaert haben, so wenig Plastiktueten wie moeglich zu benutzen. Das Bewusstsein ist da. Aber gerecht will man behandelt werden!

Samstag, 7. November 2009

Beziehungen, Homosexualitaet, Sex

Na, habt ihr schon gedacht der Blog verkommt zur reinen Politikveranstaltung?? :P
Das Konzept der "Liebe" hat eigentlich zwei Seiten: Auf der einen Seite gibt es die Liebe zu Eltern, Geschwistern und anderen, die sich auf gemeinsame Erfahrungen, ein gemeinsames Leben, gemeinsame Werte und die "Blutsverwandschaft" gruendet. Rein platonisch, ohne jegliche sexuelle Bestandteile. Und auf der anderen Seite ist da die "romantische Liebe", die Liebe zum Partner oder der Partnerin, die man sich selbst gewaehlt hat. Und diese Liebe ist nicht nur, aber auch koerperlich, beinhaltet koerperliche Naehe, Koerperkontakt usw.
Mit "Liebe" zu einem Lebenspartner beziehen wir uns in Deutschland auf die romantische Liebe, ein Konzept das es so aber in Indien nicht gibt wie bei uns. Das mag jetzt seltsam klingen, weil es fuer uns total normal ist.
Deshalb ist auch die arrangierte Ehe fuer die Leute, mit denen ich hier darueber gesprochen habe, nichts dramatisches, sondern ziemlich normal. Auf jeden Fall nichts, was einem aufgezwungen wird, obwohl man es nicht will - die Vorstellung ist hier eher, dass man nicht nur den Partner heiratet, sondern auch seinen sozialen Hintergrund, seine Familie und seine Werte und Sozialisation. Und darauf zu achten ist mindestens ebenso wichtig wie die Frage, ob man koerperlich voneinander angezogen ist. Die koerperliche, romantische Liebe entwickelt sich dann mit der Zeit schon. Uebrigens: Laut einer Studie sind 93% aller Inder zufrieden mit ihrer Ehe.
Das ganze heisst nun nicht, dass junge Inder nicht auch Beziehungen haetten, nur sind die anders als in Deutschland, ich wuerde sagen weniger frei und weniger tief. Dass 15-jaehrige mit Wissen der Eltern Beziehungen haben, sich kuessen oder miteinander schlafen waere hier absolut undenkbar. Und auch ohne Wissen der Eltern ist es undenkbar. Ausnahmen gibt es natuerlich bei allem, aber die romantische Liebe steht, so ist mein Gefuehl, auch da weniger im Vordergrund als die platonische Bindung, gemeinsame geheime Treffen in einem Cafe oder im Kino (der perfekte Platz zum Kuessen!).
Sex ist in der Oeffentlichkeit ueberhaupt kein Thema, Pornografie verboten, genauso Prostitution und Stripclubs und aehnliches. Auch die Werbung ist viel dezenter und nicht so plump aufreizend wie manchmal in Deutschland. Natuerlich gibt es das alles trotzdem, aber eben nicht so oeffentlich und nicht gesellschaftlich akzeptiert. Ich habe in einer Zeitschrift zu dem Thema gelesen, dass Pornographie oft westliche Frauen abbildet in Indien - um den Maennern die Illusion zu lassen, nur auslaendische Frauen seien so freizuegig, waehrend indische Frauen natuerlich so etwas nie machen wuerden. Aber trotz allem ist das oeffentliche Leben viel weniger sexuell durchflutet als in Deutschland!
Homosexualitaet ist ein ganz schwieriges Thema - aber immerhin ist homosexualitaet seit einigen Monaten nicht mehr strafbar. (bevor jetzt alle aufschreien, schaut erstmal nach, wie lange es in Deutschland illegal war!!) Oeffentlich homosexuell zu sein ist aber wohl immer noch ein Tabu und es ist auch ein Thema, das kaum behandelt wird. Ein richtiges Tabu, mehr noch als in Deutschland - obwohl laut einer Kollegin von mir vor einigen Wochen sich irgendeine oeffentliche Person geoutet hat. Ohne grosse Konsequenzen.
Kulturen sind verschieden und bei persoenlichen Themen merkt man das vielleicht manchmal am besten - ich habe sehr viele Menschen hier als sehr offen und herzlich kennen gelernt mit denen man ueber viele private Themen gut reden kann. Ohne Vorurteile oder Verurteilungen. Andere kulturelle Hintergruende sind weder gut noch schlecht - und jeder der jetzt denkt "arme Inder" und der Meinung ist, Deutschland sei viel fortschrittlicher: Unsere "Fortschrittlichkeit" erkaufen wir uns mit einer Scheidungsrate von 50% (Im Vergleich mit 6% in Indien). Und ob sich 93% der Deutschen als in ihrer Ehe gluecklich bezeichnen wuerden, weiss ich auch nicht!

Samstag, 31. Oktober 2009

Pakistan und Indien

Um die Beziehung von Indien und Pakistan zu verstehen, muss man erstmal einen Blick zurueck werfen. Der indische Subkontinent, als die heutigen Staaten Pakistan, Indien und Bangladesh waren eine britische Kolonie - und zuvor seit Jahrhunderten kein geschlossener Nationalstaat, sondern eine Ansammlung verschiedener Fuerstentuemer. Die Briten fassten das ganze Gebiet dann in eine Kolonie zusammen, in der die einzelnen ehemaligen Fuersten weiterhin als Marionetten regieren durften. Und die regionalen Identitaeten auch nicht besonders in Frage gestellt wurde.
Mit der Unabhaengigkeitsbewegung war zunaechst geplant, dass das gesamte Gebiet zu einem neuen Staat wird - geplant war das so zum Beispiel von Mahatma Gandhi, der gegen die spaetere Teilung in Indien und Pakistan war. Aber ein Konflikt darueber, wie die Rechte von religioesen Minderheiten, vor allem der Muslime, geschuetzt werden wuerden, hat schliesslich dazu gefuehrt, dass 2 Staaten gegruendet wurden: Pakistan (inclusive Bangladesh, das hat sich in den 70ern von Pakistan geloest) und Indein. Die Regelung, welche Gebiete nun zu welchem Staat gehoeren sollten, sah folgendermassen aus: Die jeweiligen Fuersten konnten entscheiden, welchem Staat sie beitreten wollten, wobei da natuerlich jeweils erheblicher Druck ausgeuebt wurde. Ausserdem war die Idee, dass mehrheitlich muslimische Fuerstentuemer zu Pakistan gehoeren sollten und mehrheitlich hinudistische zu Indien.Soweit die Theorie, aber in der Praxis gab es zwei Mal Probleme: Der muslimische Fuerst des mehrheitlich hinduistischen Hyderabad wollte sein Fuerstentum Pakistan anschliessen, worauf Indien einmarschiert ist und das Gebiet annektiert hat. Das war kein besonders grosses Problem, da das Fuerstentum klein und Mitten in Indien gelegen war. Der Fall Kaschmir war komplizierter: Der dortige Fuerst, ein Hindu, schloss sich trotz muslimischer Mehrheit der Einwohner Indien an, was Pakistan nicht akzeptiert hat. Die Frage, wem Kaschmir rechtmaessig gehoert, war dann der Grund fuer Kriege und hat die anfangs angedachte starke Zusammenarbeit der beiden Staaten unmoeglich gemacht.
Mindestens genauso wie um das Gebiet Kaschmirs, eine angeblich wunderschoene Berglandschaft mit malerischen Bergketten, klaren Seen und viel schoener Natur, geht es darum, wer Recht hat. Und wer sein Gesicht waren kann.
Die Beziehung von Indien und Pakistan ist seitdem schwierig, wenn nicht feindlich. Dass Indien in den 70ern Bangladesh geholfen hat, von Pakistan unabhaengig zu werden, hat der Beziehung auch nicht gerade geholfen.
Mein Eindruck ist, dass Pakistan in Indien kaum mehr als Gefahr fuer die nationale Sicherheit wahrgenommen wird. Das Land ist zwar militaerisch stark und gilt vielen hier als unberechenbar, aber Indien vertraut auf die eigene Staerke, die durch das starke Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre nur noch gewachsen ist. Inzwischen gilt Indien auch international als verlaesslicher Partner, waehrend Pakistan eher der Unruheherd ist, der mit Terroristen paktiert. Aussenpolitisch steht Indien im Vergleich zu Pakistan also ziemlich gut da.
In den Zeitungen wird taeglich ueber Pakistan berichtet. Meistens geht es dabei um Anschlaege, Unruhen, Gewalt - das Bild, das vermittelt wird, ist das eines Landes nahe am Chaos. Der aktuelle Besuch von Hillary Clinton wird auch aufmerksam verfolgt, nicht ohne regelmaessig die USA dafuer zu verurteilen, dass diese Pakistan seit Jahren sehr viel Geld fuer die Terrorbekaempfung geben, das Pakistan aber angeblich zweckentfremdet. (zum Schaden Indiens?)
Erstaunlicherweise wird das Thema Afghanistan hier ziemlich wenig reflektiert. Wobei Indien doch das erste Opfer eines starken und radikalen Islamismus in Afghanistan und vor allem Pakistan waere. Afghanistan wird als Problem der USA gesehen, mit dem Indien eigentlich nichts zu tun hat. Entweder ich schaetze da etwas komplett falsch ein - oder die indische Politik ist da extrem kurzsichtig (oder tut so, als sei sie es).
Manchmal habe ich das Gefuehl, die Beziehung von Indien und Pakistan ist wie die zweier voneinander enttaeuschter ehemaliger Liebhaber: In Frieden vereint, hat man sich ueber einem Punkt verkracht, der es eigentlich nicht wert gewesen waere, die ganze Beziehung zu zerstoeren. Und das sehen beide auch ein. Aber trotzdem hat man sich seitdem so regelmaessig und zielsicher verletzt, gegenseitig geschwaecht und dem anderen das Leben schwer gemacht, dass ein zurueck unmoeglich ist. Es ist zu spaet. Aber beide bedauern, dass sie damals, als es noch moeglich war, nicht ganz anders gehandelt haben. Und das geplante "Freunde bleiben" nach den beiden Staatsgruendungen hat nur Wochen gehalten.

Samstag, 24. Oktober 2009

Indien: unity in diversity?

So, jetzt gibts mal ein Thema, das nicht zur Abstimmung stand, aber hier unbedingt reingehoert. Aus unserer deutschen oder auch europaeischen Perspektive erscheint Indien oft als ein Land wie jedes andere. Klar, es ist gross, ueberbevoelkert und fremd - aber doch ein Land wie viele andere auch.
Winston Churchill, als Indien noch Teil des britischen Kolonialreiches war, sagte einmal, dass Indien eine geografische Bezeichnung sei, so aehnlich wie ein Breitengrad oder der Aequator. Aber kein Land.

Nun, die britische Kolonialzeit ist seit ueber 60 Jahren vorbei und Churchill muss bei allen seinen Verdiensten und schlauen Worten (hat er nicht auch den "iron courtain" erfunden?) ja nicht nimmer Recht haben. Und schon gar nicht muss alles so sein wie vor mehr als einem halben Jahrhundert.
Traditionell war Indien fast nie als Zentralstaat organisiert, sondern in kleineren Fuerstentuemern, Koenigreichen - regional abgegrenzten Gebilden also, vielleicht vergleichbar mit der politischen Landschaft in Deutschland vor dem 19.
Jahrhundert. Die Briten haben da auch wenig daran geaendert, regiert wurde im wesentlichen damit, dass man sich die lokalen Herrscher zu Freunden gemacht hat oder diese kontrolliert hat. Indien waere auch viel zu gross gewesen, um es als kleines England militaerisch zu unterdruecken. Und wo wir gerade bei der Geschichte sind: Indien ist auch das erste Land der Welt, das von einem privaten Unternehmen regiert (d.h. ausgebeutet) wurde, der East India Company.
Aber zurueck zur Vielfalt: Aehnlich wie in Deutschland die Bundeslaender, so haben sich auch in Indien starke Bundesstaaten erhalten, die meinem Eindruck nach relativ viele Kompetenzen haben. Und - anders als in Deutschland - sind die Lebensbedingungen, kulturellen Hintergruende und Sprachen sehr unterschiedlich. Ein Bauer aus Bihar in Nordindien, dem aermsten Staat mit noch hoher Analphabetenrate, grosser Armut und schwacher Entwicklung der Wirtschaft wird sich wohl in Bangalore ueberhaupt nicht verstaendigen koennen. Weil kein Mensch hier die regionale Sprache aus Bihar spricht (ausser ein paar Zugreiste vielleicht) und der Bauer wohl weder Kannada (regionale Sprache hier) noch Englisch sprechen wird. Whow. Das heisst, die Leute koennen sich im eigenen Land oft nicht verstaendigen! Hindi, die neben Englisch offizielle Amtssprache, kann offiziell gut die Haelfte der Bevoelkerung sprechen, die Haelfte! Stellt euch mal Deutschland vor, wenn die Haelfte der Deutschen weder Deutsch noch Englisch sondern nur einen regionalen Dialekt sprechen kann!
Und das ist nur die Sprache. Unterschiede ziehen sich tief in den Alltag: Andere Feiertage, andere Goetter, anderes Essen (ja, es gibt DAS indische Essen naemlich ueberhaupt nicht), andere Hautfarbe. Und hier sind wir bei einem anderen wichtigen Punkt: Inder aus der Naehe von Tibet oder Bhutan sehen anders aus als Inder aus Karnataka. Und es gibt hier auch Rassismus - keinen gegenueber Auslaendern, oh nein. Rassismus gegenueber Indern mit dunklerer Hautfarbe, die sind traditionell eher minderwertig.

Und jetzt lassen wir die unterschiedlichen Religionen (zwischen denen es seit der Staatsgruendung schon oefters gewaltsame Konflikte gab), Bildungsniveaus, sozialen Schichten, Kasten usw. weg. Ich glaube die Message kommt auch so rueber: Die Inder sind verdammt unterschiedlich!
Und was ist mit der Einheit? Das finde ich total faszinierend, trotz aller Unterschiede, Gegensaetze und Konflikte habe ich das Gefuehl, dass sich die Menschen hier sehr stark mit "Ihrem" Indien identifizieren. Und stolz darauf sind, was sie erreicht haben, stolz auf die Stabilitaet in einer sehr instabilen Region der Welt (Tibet, Pakistan, Iran, Sri Lanka), stolz auf die Demokratie in einer Region der politischen Konflikte (alle Nachbarlaender ausser Bhutan) uns stolz auf ihre Vielfalt. Das heisst nicht, dass immer alles rund laeuft, aber insgesamt ist das doch ziemlich faszinierend.
Ein Satz, den mir eine Inderin zu dem Thema gesagt hat, drueckt sehr viel aus: "Weisst du, Nils, in 30 Jahren wird Europa vielleicht dort angekommen sein, wo Indien jetzt ist. Mit dem Unterschied, dass die kulturelle Vielfalt in Europa vielleicht nicht so gross ist und es weniger Konflikte gibt."
Vielleicht hat sie Recht.

Dienstag, 20. Oktober 2009

Als Auslaender unterwegs

Ich werde euch einfach mal berichten, wie es so ist hier als Auslaender in der Stadt unterwegs zu sein. Am Anfang war mir das total bewusst, dass alle an meiner Hautfarbe sofort sehen, dass ich Auslaender bin, aber inzwischen denke ich da kaum daran, wenn ich unterwegs bin. Gewoehnungssache wahrscheinlich.
Grundsaetlich wird mir hier auf der Strasse oder im Bus zum Beispiel immer irgendwie besondere Aufmerksamkeit zuteil, zumindest fuehlt es sich so an, weil immer mal wieder Leute mich laenger anschauen, als das fluechtige Bemerken, das eigentlich normal ist. Meistens ist das nicht unfreundlich, aufdringlich oder unangenehm, sondern einfach nur interessiert. Teilweise habe ich mich aber auch schon unwohl in meiner Haut gefuehlt, wenn ich eine gefuehlte Ewigkeit angestarrt wurde, zum Beispiel im Bus oder irgendwo auf dem Gehweg in einer Gegend wo normale Touristen nicht shoppen gehen.
Viele Leute sind aber einfach auch interessiert und sehr freundlich zu mir. Oft laechele ich vorsichtig, wenn mich Leute anschauen und sehr oft passiert es mir, dass mein Gegenueber dann zuruecklaechelt, etwas was in Deutschland sehr selten waere. Und nicht selten freuen sich Leute auch, wenn ich bei Ihnen etwas einkaufen will, sie nach dem Weg frage oder ansonsten freundlich zu sein versuche. Ich habe das Gefuehl, dass es geschaetzt wird, wenn ich das Gefuehl gebe, dass ich die Kultur hier akzeptiere und nicht auf die Menschen herabschaue oder so. Es kam auch schon ein paar Mal vor, dass zum Beispiel im Bus sich jemand neben mich gesetzt hat (meistens juengere Maenner) und sich einfach mit mir unterhalten hat. Wie ich heisse, was ich in Bangalore mache, wie es mir gefaellt und Tipps gegeben haben wo ich mal hinsoll, was man hier so machen kann usw. Einfach so und total ungezwungen und freundlich. Ich frage mich, ob das einem Inder in Deutschland auch so ergehen wuerde.
Nachteil am offensichtlich Auslaender sein ist, dass man manchmal als wandelnder Dollarschein gesehen wird, und zwar von allen die sich schnelles Geld versprechen. Das kann mal ein Rikschafahrer sein der einen ueberhoehten Preis verlangt, ein Obstverkaeufer der den Touristenpreis berechnen will oder ein Bettler, der ueberzeugt ist dass Auslaender grosszuegiger sind. Am nervigsten ist es aber wenn man im Stadtzentrum unterwegs ist und immer von irgendwelchen Leuten angesprochen wird, dass man doch mal in diesen oder jenen Souvenirshop gehen soll...
Oft erfaehrt man aber als Auslaender eine Vorzugsbehandlung bei ganz alltaeglichen Dingen. Oft habe ich das Gefuehl, dass ich zum Beispiel im Restaurant freundlicher behandelt werde, dass man mir gegenueber mehr Geduld aufbringt als Einheimischen und dass ich mir auch mehr erlauben koennte. Im Bus kam es schon ein paar Mal vor dass mir jemand seinen Sitzplatz angeboten hat (was ich natuerlich immer abgelehnt habe) oder dass der Ticketverkaeufer mir Bescheid gibt, bevor ich aussteigen muss - ohne dass ich ihn darum gebeten habe.
Insgesamt kann man sich hier als Auslaender echt wohlfuehlen - klar ist man "gebrandmarkt", aber eher auf eine positive als auf eine negative Art und Weise.

Dienstag, 13. Oktober 2009

Aktuelle politische Themen

Weil ich nach 2 Monaten in Indien nicht von mir behaupten will, mich auszukennen, habe ich mir einfach die „Times of India“, eine der größten (und meiner Meinung nach die beste) Tageszeitung gekauft. Die Ausgabe für den Bundesstaat Karnataka, wie große deutsche Tageszeitungen wird auch hier regional angepasst.
So, und jetzt wollen wir mal schauen, was es so gibt:
Ganz oben auf der Titelseite wird berichtet über die Wahlen in drei Bundesstaaten diese Woche. Die Umfragen prognostizieren in allen drei Staaten einen Sieg der Kongresspartei, allerdings dürfte es wohl nirgends zu einer absoluten Mehrheit reichen. Kongress ist hier grob gesagt „mitte-links“, also eher die Partei der Arbeiter und Bauern. Das Staatssystem in Indien ist ähnlich aufgebaut wie in Deutschland, das heißt in einem föderalen Staat teilt sich die Zentralregierung in Delhi die Macht mit den Bundesstaaten. Insgesamt gibt es knapp 30 Bundesstaaten - Karnataka, der Staat in dem Bangalore ist, hat ca. 120 Millionen Einwohner und gehört zu den größeren. Die Grenzen der Bundesstaaten sind grob entlang der Sprachgrenzen gezogen, d.h. jeder Staat hat dann auch seine eigene Sprache.
Aber zurück zur Zeitung. Oben rechts wird über die Folgen der Überschwemmungen in Karnataka berichtet. Vor etwa einer Woche ging es los, eventuell habt ihr davon auch in den deutschen Nachrichten gehört. Naja, auf jeden Fall ist die Ernte hunderttausender Bauern vernichtet, es gibt tausende Tote und noch viel mehr Obdachlose. Der Zeitungsartikel erläutert die möglichen Maßnahmen der Regierung von Karnataka, den Opfern zu helfen und das dafür notwendige Geld aufzutreiben. Anscheinend sind Mehrwertsteuererhöhungen im Gespräch. Das Wetter ist seit ich in Indien bin ein großes Thema – zuerst aber dominiert von einer Dürre in Nordindien, mit der Folge dass Millionen Bauern hungern werden. Verschärft wurde die Lage dadurch, dass wegen Stromknappheit die meisten Wasserpumpen nicht laufen konnten und damit auch keine künstliche Bewässerung möglich war. Die Maßnahmen der Regierung um den Bauern zu helfen, waren minimal.
Der dritte große Artikel auf der Titelseite erläutert die Wachstumsaussichten der Wirtschaft. Die Industrieproduktion ist im Jahresvergleich um 10,4% gestiegen, das Bruttoinlandsprodukt um „nur“ 6,5% - die Regierung verspricht jedoch, dass die aktuelle Krise bald überwunden ist und Indien zu gewohnten Wachstumsraten von mindestens 8% zurück kommt. Konjunkturpakete gab es hier übrigens keine. Weiter hinten in der Zeitung, aber passend zum Thema wird dann noch gemeldet, dass das Durchschnittsgehalt im Industrie- und Dienstleistungssektor dieses Jahr um 8% steigen wird. Wirtschaftliche Nachrichten sind hier ein erfrischender Gegensatz zu den deutschen: Positive Grundstimmung, die Verheißung auf eine bessere Zukunft, Erfolgstories.
Den Regionalteil über Bangalore werde ich mal auslassen. Wichtigste Nachricht dort ist ein Streik von Rikschafahrern gestern Nachmittag.
Im Teil „Times Nation“ gibt es zwei große Themen: Erstens die bevorstehende Militäroffensive gegen maoistische Separatisten (so genannte „Naxaliten“) in Indien. Gross diskutiert wird, ob es vertretbar sei, die Luftwaffe im Inland einzusetzen, um die Stellungen der Naxaliten zu schwächen, oder ob Spezialeinheiten der Armee angreifen sollen. Zweites wichtiges Thema ist der erfolgreiche Test einer indischen Rakete, die atomar bestückt werden kann. Ein weniger wichtiges Thema, das noch beleuchtet wird, ist die erfolgreiche Entwicklung einer neuen Behandlungsmethode gegen Diabetes durch ein indisches Forschungsinstitut.
Im Kommentarteil gibt es zwei große Themen: Die nuklearen Ambitionen des Iran und Pakistan. Iran wird hier ähnlich kritisch gesehen wie in Deutschland, mit dem Unterschied dass es hier weniger darum geht dass Iran irgendwelche Kontrolleure ins Land lässt sondern dass das Land nicht zur potentiellen Bedrohung für Indien wird. Pakistan wird hier erstaunlicherweise nicht als militärisch gleichwertiger Konkurrent gesehen, sondern als Hort von Instabilität und Unsicherheit, Terrorismus und Gewalt. Die Zusammenarbeit von den USA mit Pakistan wird dabei sehr kritisch gesehen und es wird regelmaessig von Anschlägen in Pakistan oder Problemen des Landes berichtet.
Der Teil „Times Global“ ist sehr kurz und beleuchtet Themen wie den gestern vergebenen Wirtschaftsnobelpreis, irgendeinen Besuch von Carla Bruni beim Psychiater und weiteres Weltgeschehen das man eigentlich nicht zu wissen braucht in Miniartikeln. Und natürlich nochmal Pakistan, die Story ist die ungerechtfertigte Verurteilung eines Regimekritikers in Lahore.
Der Wirtschaftsteil ist auch sehr kurz, es gibt hier gute Wirtschaftszeitungen die interessierte Leser für umgerechnet 5 Cent kaufen können (soviel kostet auch die Times of India). Die Soapstory der Wirtschaft ist der Bruderkrieg der Ambanis, zwei der reichsten und einflussreichsten Manager des Landes, die von Ihrem Vater das Konglomerat Reliance geerbt haben, geteilt haben und sich seitdem gegenseitig das Leben schwer machen. Außerdem gibt es noch verschiedene Erfolgsmeldungen von Unternehmen und Meldungen über das zunehmende Wachstum der Wirtschaft.
So, und jetzt bin ich bei den Anzeigen und dem Regionalteil, den ich aber mal auslassen will. Ich hoffe, das hat euch einen Einblick gegeben – natürlich ist die Liste der Themen nicht exklusiv und nur eine Momentaufnahme. Aber vielleicht ist das ja ein guter Startpunkt für eine Diskussion!

Freitag, 9. Oktober 2009

Als Fussgaenger

In Bangalore durch die Stadt zu laufen, ist ziemlich gefaehrlich. Im Zentrum, vor allem dort wo man gut shoppen kann, gibt es Gehwege - zwar sehr volle, aber immerhin. Nervig ist dort vor allem, dass einem alle paar Meter irgendwelche Verkaeufer sinnloser Produkte eine bewegliche Holzschlange, Pfauenfedern oder Mini-Schachspiele andrehen wollen. Gebettelt wird dort auch viel und aggressiv, es ist also nicht wirklich gemuetlich rumzulaufen.
Aber normalerweise ist der Gehweg hier eher vernachlaessigbar. Oft verlaeuft unter dem Gehweg ein Abwasserkanal, der durch teilweise lose Betonplatten abgedeckt ist. Darauf zu laufen ist teilweise seltsam, weil die Platten wie lose Steine hin und her wippen oder auch schonmal durchgebrochen sind. Ausserdem wird ein solcher Gehweg auch gerne als Verkaufsflaeche fuer Waren und Lebensmittel aller Art benutzt - und in weniger hektischen Gegenden auch als Stellplatz fuer die Zelte der Unterschicht.
Also: Ich laufe meistens am Strassenrand. Auf der Strasse. Und immer sehr wachsam und mit grossem Respekt vor allem was staerker ist als ich. Dazu gehoeren alle Arten von Autos, Motorraeder und Roller, aber auch Kuehe.
Generell gilt hier das Recht des Staerkeren. Wer mehr PS hat, oder auch eine lautere Hupe, der hat Vorfahrt. Und wer sich so Respekt verschaffen kann, kann natuerlich auch auf so unnoetigen Schnickschnack wie Licht in der Nacht oder den Blinker verzichten. Ich versuche also, mich so weit wie moeglich am Strassenrand zu halten und schaue immer, ob ich nicht einem staerkeren Verkehrsteilnehmer im Weg stehe. Ampeln oder gar Zebrastreifen sind aber teilweise reine Zierde und eher eine unverbindliche Empfehlung als etwas, woran man sich als Autofahrer halten wuerde.
Die rabiatesten Fahrer sind die der Rikschas. Das ist zwar ganz angenehm, wenn man in einer drinsitzt, weil man ziemlich schnell voran kommt, aber teilweise echt gefaehrlich, wenn man als Fussgaenger unterwegs ist.
Auf die andere Strassenseite zu kommen, ist oft auch recht schwer, vor allem bei den ueblichen 3-spurigen Verkehrsachsen ueberall. Da sich nicht alle an die Spuren halten und man auf beiden Seiten ueberholen kann, ist es oft auch schwer den Verkehr einzuschaetzen. Im Zweifel laufe ich einfach immer im Windschatten eines Inders, die werden schon wissen was sie machen.
Am Anfang fand ich auch die Abgase hier sehr unangenehm, aber inzwischen rieche ich die nicht mehr. Wobei man die Schwaden teilweise schon ueber die Strasse ziehen sieht, vor allem bei Daemmerung ein schoenes Bild... ;-)

Dienstag, 29. September 2009

Bei der Arbeit

Der Grund, warum ich ueberhaupt hier in Bangalore bin, ist mein Praktikum - und so langsam ist mal Zeit, etwas mehr davon zu erzaehlen. Anfangen will ich aber mit einem kurzen Ueberblick ueber ein paar Unterschiede, die kulturell zwischen Deutschland und Indien in der Beziehung bestehen (etwas polarisiert):
Grundsaetzlich sind Hierarchien steiler und wichtiger als in Deutschland. Der Chef ist hier noch eine Autoritaet, ein wahrer Patriarch, der sich fuer seine Angestellten einsetzt, im Gegenzug aber absolute Loyalitaet erwartet. Dabei erstreckt sich die Beziehung der Angestellten untereinander, als auch gegenueber dem Chef, auf mehr als die Themen, die direkt mit der Arbeit zu tun haben. Selbstverstaendlich ist der Vorgesetzte einbezogen in wichtige private Entscheidungen wie Hochzeit, die Geburt von Kindern oder bedeutende andere Ereignisse. Wo er kann, hilft der gute Chef auch, selbstverstaendlich ist auch Sonderurlaub drin, wenn die Tante ins Krankenhaus muss. Die Trennlinie zwischen Privatem und der Arbeit ist weit weniger scharf als in Deutschland. Allerdings sind natuerlich die Arbeitsbedingungen nicht gerade das, was den DGB jauchzen lassen wuerde. Hoher Druck, hohe Arbeitsbelastung, scheussliche Arbeitszeiten (z.b. mitten in der Nacht) und eine 6-Tage-Woche sind auch bei Angestellten mit Universitaetsabschluss keine Ausnahme.
Eine Welt, in die ich wenig Einblick habe, ist aber die der kleinen Shops an der Strasse, Baufirmen und aehnlichem, wo die unqualifizierten Wanderarbeiter arbeiten. Angeblich sind Gehaelter von etwa einem Dollar am Tag plus Mittagessen normal auf dem Bau, wer Glueck hat bekommt noch eine Ecke auf dem Baugelaende und ein paar Plastikplanen, um damit eine Huette zu bauen. Natuerlich leben und arbeiten Millionen hier wie in jedem Entwicklungsland unter fuer Deutschland unvorstellbaren Bedingungen, aber darauf will ich hier nicht eingehen.
Bildung ist hier der Schluessel zu einem besseren Leben, viel staerker als in Deutschland. Eine gute Ausbildung bedeutet: Ein renommierter Arbeitgeber, die Chance auf ein gutes Gehalt, Konsum der ueber Nahrung, Kleidung u.ae. hinausgeht und die Rechtfertigung, dass die Eltern zu Recht ein kleines Vermoegen in die Ausbildung investiert haben. Und tatsaechlich sind die Gehaelter zwar in Euro umgerechnet gering, aber bei einem BIP pro Kopf von etwa 500 euro pro Jahr ist ein Monatsgehalt von 400-500 euro zum Einstieg schonmal nicht schlecht. (entspraeche in Deutschland grob 20.000 euro, nur so zur Relation).
So, jetzt aber mal dazu, was ich so mache bei meinem Praktikum. Die Firma bei der ich arbeite, ist ein Beratungsunternehmen, das sich auf Diversity Management spezialisiert hat. Und zwar diversity unter den Angestellten, Kunden sind meistens Grossunternehmen, in der Regel die grossen Multinationals aus IT, Finanzen oder auch Telekommunikation. Die wichtigsten Beratungsgebiete sind dabei das Thema Frauen (Mutterschutzregelungen, Gleichberechtigung, ...), Diskriminierung (z.B. von Homosexuellen, Frauen, Behinderten, ...) und der Bereich Mobbing/Belaestigung. Dabei gibt es verschiedene Angebote an die Kunden: Eine Moeglichkeit ist, eine mehrstuendige Session mit ausgewaehlten Personen im Unternehmen zu machen, in der das Problemfeld erlaeutert wird, diskutiert wird und damit erreicht wird, dass die fuer bestimmte Teams verantwortlichen Manager mit dem Thema vertraut sind und gegebenenfalls richtig reagieren und Probleme als solche erkennen koennen. Ein anderes Angebot ist es zum Beispiel, in einem Bereich (wie z.B. Mutterschutzregelungen) fuer ein Unternehmen ein Programm zu erarbeiten. Ausserdem gibt es noch verschiedene andere Angebote, offene Beratungsworkshops und aehnliches.
Ich bin von meinen 4 Kolleginnen super aufgenommen worden, alle sind total nett, immer bereit mir etwas zu erklaeren und sich zu unterhalten und ich fuehle mich im Buero immer total wohl. Die Aufgaben die ich bekomme, sollen (laut Chefin) so sein, dass ich dabei moeglichst viel lerne - das heisst ich habe noch nichts machen muessen, was reine Beschaeftigung waere und bin eigentlich ueberrascht, wie viel mir zugetraut wird!
Und jetzt gibts noch ein paar Beispiele dafuer, was ich bisher gemacht habe:
- Einen Unternehmensblog erstellt (ist noch nicht oeffentlich)
- Eine Untersuchung zum Thema Mutterschutz ausgewertet
- Eine 30-minuetige Session zum Thema Generational Diversity vorbereitet
Und im Moment arbeite ich gerade daran, wie wir Unternehmen in ein Ranking zum Thema Diversity packen koennten.
Abschliessend bleibt mir nur zu sagen, dass es wirklich Spass macht bei interweave. Ich weiss, dass ich ein riesen Glueck hatte mit meinem Praktikum und habe mich morgens noch nie geaergert, dass ich ins Buero muss!

Donnerstag, 24. September 2009

Armut

Indien ist ein Land der Extreme. Ganz offensichtlich wird das beim Thema Armut. In Indien sind inzwischen Megakonzerne beheimatet, Dollar-Milliardaere sind selbstverstaendlich. Und auch bei der breiten Masse kommt der neue Wohlstand an, obwohl das Wirtschaftswachstum dieses Jahr wegen der weltweiten Krise auf wahrscheinlich 8% sinken wird, wohlgemerkt ohne Konjunkturprogramm. Aber immerhin, naechstes Jahr sollen es wieder 10% werden. Das BIP pro Kopf wurde seit 1990 fast verfuenffacht und der neue Reichtum kommt vielen hundert Millionen zu Gute, die Demokratie sorgt dafuer, dass viele am neuen Wohlstand teilnehmen koennen.
Auf der anderen Seite lebt immer noch fast jeder Vierte Inder von weniger als einem Dollar am Tag, insgesamt fast 300 Millionen Menschen, das entspricht der Bevoelkerung der USA. Und ja, Millionen hungern jeden Tag, Kinderarbeit ist noch weit verbreitet und auf dem Land leben viele Bauern noch fast wie Leibeigene. Und Bildung ist nicht jedem kostenlos zugaenglich, schon gar nicht eine weiterfuehrende Schule. Die Duerre dieses Jahr macht es nur noch schlimmer.
Millionen Menschen ziehen in die Staedte, die aus allen Naehten platzen. Angeblich lebt jeder dritte Einwohner von Mumbai (Bombay) im Slum und auch hier in Bangalore, der IT-Hauptstadt der Welt sieht man an fast jeder Strassenecke wilde Slums spriessen, wo auf dem Gehweg genug platz ist, werden ein paar Wellblechhuetten gebaut. Und viele der Menschen dort haben sicherlich kein schoenes Leben. Ganz zu schweigen von Bildung fuer die (illegal in der Stadt lebenden) Kinder oder einer Krankenversicherung.
Die extremen Kontraste und vor allem die Armut zu akzeptieren faellt mir immer noch schwer. Jeden Tag an dem ich in der Stadt bin werde ich mindestens einmal von einem Kind angebettelt, oft in Lumpen und immer stupst es einen am Bauch oder der Hand an und will etwas Geld. Muetter in dreckiger Kleidung mit Babies auf dem Arm sind auch oft unterwegs. Und verkrueppelte, oft sitzen die auch auf dem Gehweg und sprechen den ganzen Tag wehklagend vor sich hin.

Es ist extrem traurig, das zu sehen und zu wissen, dass vor allem die Kinder niemals in ihrem Leben eine Chance haben werden, denn in diesem Land wird einem nichts geschenkt. Und mit wenigen euro-cent koennten sie sich ein Essen kaufen. Trotzdem, und das ist das schwere fuer mich, ermuntert man diese damit nur dazu, mehr zu betteln und weniger in die Schule zu gehen. Was natuerlich langfristig keine Loesung sein kann... Das erfolgreichste Programm, Kinder in die Grundschule zu bekommen ist uebrigens das Angebot eines kostenlosen Mittagessens dort.
Ich versuche Bettlern so weit wie moeglich aus dem Weg zu gehen, weil ich mich immer extrem unwohl fuehle. Trotzdem werde ich mich hier wohl nie daran gewoehnen, wie nahe beieinander arm und reich hier sind. Hinter mit der Glaspalast eines internationalen Konzerns, gleich daneben ein Slum und davor auf der Strasse bettelnde Kinder. Die flehend an die Scheiben der vorbeifahrenden Autos klopfen, wenn die Ampel rot ist - in der Hoffnung auf ein paar Rupien.

Dienstag, 15. September 2009

Essen

Scharf, Reis, Masala: Das sind so etwa die Schlagwörter, die ich im Kopf hatte, bevor ich in Bangalore angekommen bin. Und irgendwie stimmen die Vorurteile, und irgendwie auch nicht. Aber von vorne:
Ein typisches Essen ist folgendermaßen zusammengesetzt: Es gibt eine Grundlage, in der Regel Reis, aber auch schonmal frische Teigfladen, knusprig, warm und super lecker. Sowohl der Reis als auch die Teigfladen komm
en in verschiedenen Ausprägungen. Dazu gibt es dann in der Regel ein "Curry" (oder auch mehrere, je nachdem wie umfangreich und wichtig das Essen ist), also eine Art Soße, mit der man den Reis z.B. mischt. Serviert wird alles getrennt, das heißt man mischt auf dem Teller. Auch das Mischen verschiedener Currys ist kein Problem.
Ein sehr typisches Essen ist ein "Thali", so eine Art Menü des Tages in einem Restaurant. Dort, wo ich immer meinen Lunch esse, sieht das zum Beispiel folgendermaßen aus: Ein Roti (eine Art Teigfladen), mit verschiedenem sehr klein geschnittenen Gemüse gemischter Reis, eine mäßig scharfe Soße und eine sehr scharfe, vermutlich in der Pfanne zubereitete Gemüsemisch
ung. Als eine Art Nachtisch gibt es außerdem noch "Curd-Rice", Reis gemischt mit einer Art Joghurt und Gurken- und Karottenstückchen. So ein Essen ist ziemlich füllend, schmeckt gut und ist ziemlich billig. Die meisten Leute essen immer Thali, auch weil es immer was anderes gibt. Und natürlich ist fast alles hier vegetarisch, selten bekommt man mal Hühnchenfleisch, man muss schon gezielt nach einem "non-veg" Restaurant suchen. Was aber gar nicht so schlimm ist, weil das vegetarische Essen hier viel besser ist als in Europa!
Und grundsätzlich isst man hier mit den Fingern, genauer gesagt mit denen der rechten Hand. Am Anfang war das ziemlich komisch, aber mit der Zeit gewöhnt man sich dran - und für die Brotfladen ist es auch praktischer als mit Messer und Gabel. Nur den Reis esse ich meistens mit dem Löffel, zumindest im Restaurant - einfach deswegen, weil ich dann danach nicht völlig vollgesaute Finger habe. Aber zu Hause oder wenn man irgendwo eingeladen ist, dann wird mit den Fingern gegessen. Vorteil ist dabei auch, dass man sich nicht den Mund verbrennt, weil man immer mit den Fingern "vorfühlen" kann, bevor etwas in den Mund kommt!
Und scharf ist hier fast alles. Und mit scharf meine ich, dass ich froh bin wenn es zwar scharf ist, aber nicht so scharf dass ich Schweißausbrüche bekomme davon. Alles unterhalb dieser Grenze ist hier "not spicey". Aber ich glaube mit der Zeit gewöhnt man sich ein bisschen daran, zumindest finde ich es nicht mehr ganz so schlimm wie am Anfang.
Das Frühstück unterscheided sich dabei kaum vom Mittag- oder Abendessen. Seit ich alleine wohne, gibts bei mir aber Cornflakes, scharfes Essen nach dem Aufstehen ist echt gewöhnungsbedürftig!

Hier ist mal ein "South Indian Thali" abgebildet, serviert stilecht auf dem Blatt einer Bananenpalme. Und mit vielen Currys und süßem Nachtisch.
Alles, was hier nicht scharf ist, ist süß - und zwar extrem süß. Nachtisch ist gigantisch gut in der Regel und wahrscheinlich total ungesund. Wer der Meinung ist, Schokolade sei süß, soll mal nach Indien kommen!
Internationales Essen gibts hier natürlich auch, inklusive McDonalds, Dominos Pizza, Pizza Hut, KFC, ... Das Essen dort ist lokal angepasst, es gibt viel vegetarisches, aber schmeckt schon noch westlich. Und es ist teuer, viel teurer als Restaurant. Aber trotzdem ist so ne Pizza schon ab und zu eine gute Abwechslung!
Generell ist das Essen echt cool, schmeckt gut und ist gesund. Eine schöne Kultur, auch das Essen mit den Händen hat was, wenn man sich mal daran gewöhnt hat!

Samstag, 12. September 2009

Im Bus

Busfahren kann hier wahnsinnig interessant sein. Und wahnsinnig nervig. Hängt ganz davon ab, wann und wohin man fährt.
Szenario 1: Der Bus am Wochenende ins Stadtzentrum.
Buslinie 296 fährt von mir ins Stadtzentrum, genauer gesagt zum Busbahnhof Shivajinagar, von wo aus man in 15 Minuten Fußweg in der Shoppinggegend "Commercial Street" und der "MG Road" ist. Die Busse fahren alle 5-10 Minuten, einen Fahrplan gibt es zwar nicht, aber was sind schon 5 Minuten Warten hier in Indien! Also, der Bus, im Durchschnitt geschätzte 15-20 Jahre alt, aber meistens noch mit allen Sitzen und in der Regel verschließbaren Türen und Fenstern tuckert heran, ich steige ein und setze mich in den hinteren Teil des Buses. Die vorderen 4 Sitzreihen sind nämlich für Frauen reserviert und ich will nicht riskieren, später stehen zu müssen, nur weil es dann hinten schon voll ist und eine Frau sich auf meinen Platz setzen will. Der Bus ist dann so etwa eine halbe Stunde unterwegs und jedes zweite Mal setzt sich ein junger Inder neben mich um die Chance zu nutzen mit einem Ausländer zu reden. Echt lustig, meistens sind die total nervös aber es ist immer ziemlich interessant. Irgendwann kommt dann auch der Ticketverkäufer und nimmt einem 10 Rupien für die Fahrt ab. Tipp: Passend bezahlen, Wechselgeld ist vor allem in vollen Bussen rar! Die Fahrt ist dann aber entspannend, die Straßen am Wochenende sind nicht allzu verstopft und der Bus ist nur mäßig voll.


Szenario 2: Der Bus zur Rush-hour
Vor allem jeden Morgen und Abend ins Büro sieht das ganze so aus. Buslinie 500 nehme ich bis Marthahalli, dann umsteigen in Linie 30x bis Manipal. Die erste Herausforderung ist es, in den Bus reinzukommen. Wenn der Bus an der Haltestelle ankommt, ist er meistens schon so voll, dass die Leute zur Tür raushängen, also lasse ich den Bus ziehen und warte auf den nächsten. Nur leider ist jeder Bus so voll, also nehme ich den ersten, der ein kleines bisschen leerer aussieht: Ich versuche schneller als alle anderen auf die unterste Treppenstufe zu springen und drücke mich dann durch die Menschenmasse (alles Männer, Frauen sind ja vorne im Bus) nach innen. Wenn man erstmal drin ist, bleibt man drin - die Hoffnung auf einen Sitzplatz ist zwar eine unnötige, aber immerhin bin ich drin! Im Bus selbst ist es dann extrem eng, warm, stickig und es gibt schlechte Luft, auch weil viele Fenster nicht zu öffnen sind. Die Busse hängen immer schräg nach links, weil so viele Leute an der Tür hängen. Wie sich der Ticketverkäufer durch die Menschen drückt, ist mir immer wieder ein Rätsel! Ungefähr eine Stunde dauert die Fahrt mit dem Bus dann, wenn ich bei Martahalli rauskomme, bin ich meistens ziemlich erschöpft und verschwitzt. Der zweite Bus ist dann ähnlich, aber nicht ganz so voll. Man kommt immerhin noch ohne gesundheitliches Risiko in den Bus rein. Maximal passen in einen normalen Bus mindestens 80 stehende Leute rein, ausgelegt sind die Busse für vielleicht 40. Das Tempo ist entsprechend langsam.
Szenario 3: Der Volvo-Bus
Volvo-Busse sind die Luxusvaiante für die Mittelschicht. Klimatisiert, schneller und weniger voll. Dafür aber auch teurer, meistens so gut 50% teurer, das heißt die 4 Tickets ins Büro und zurück kosten dann 70 Rupien anstatt 40. Allerdings ist es sauber, es gibt frische Luft und es ist kein dauernder Kampf, wenn man drin ist. Meistens nehme ich den Bus, vor allem weil ich Angst um meinen Laptop in der Tasche habe, wenn ich im überfüllten normalen Bus bin. Manchmal bekomme ich da sogar einen Sitzplatz und kann entspannt die Stadt an mir vorbeiziehen lassen, während aus dem Lautsprecher an der Decke fröhliche Hindi-Musik trällert. Die entspannte Variante, eindeutig.
Eine U-Bahn oder ähnliches gibt es übrigens nicht - trotz mehr als 10 Millionen Einwohnern. Zur Zeit wird an der "Metro" gebaut, das wird eine Art Straßenbahn auf Stelzen, d.h. riesige "Fly-overs" aus Beton werden gerade gebaut, um darauf dann mal die Metro fahren zu lassen. Das ganze soll den Verkehr entlasten und ist auch dringend nötig!

Dienstag, 8. September 2009

Verhandeln...

Tja, das ist ein interessantes Thema: Für viele Produkte und Dienstleistungen, vor allem wenn man nicht in großen Geschäften oder bei internationalen Markenläden einkauft, sind keine Preise ausgezeichnet. Das heißt, man muss den Verkäufer fragen, der einen abschätzend anschaut und dann einen Preis nennt. Und der ist garantiert zu hoch.
Noch extremer ist das ganze bei Straßenverkäufern oder Rikschafahrern. Rikschas haben zwar Taxameter, aber die werden nur benutzt, wenn man zufällig irgendwo hin will, wo es viele potentielle Kunden gibt. Alle anderen Orte sind unattraktiv für die Fahrer, weshalb der Preis davor verhandelt wird. In der Regel bedeutet das, dass man mit mindestens 3 Fahrern separat verhandelt, bevor man irgendwo einsteigt und dafür auch mindestens 5 Minuten aufwenden muss. Aber immerhin kann man sich dann darüber freuen, in der Regel mindestens 20% des ursprünglichen Preises gespart zu haben. Außerdem hat der Fahrer mit ausgeschaltetem Taxameter auch keinen Anreiz, Umwege zu fahren.


Bei Straßenverkäufern, vor allem bei denen die einen ansprechen, nur weil man Ausländer ist, gibt es kaum eine Grenze nach unten. Die Hälfte des zuerst genannten Preises darf man auf keinen Fall zahlen, maximal ein Viertel. Oder man
kauft eben beim nächsten, der bestimmt maximal 20 Meter weiter wartet.
Ein paar Beispiele:
- Bangalore, Mahatma Gandhi Road (Shoppinggegend): Ein Freund von mir wollte eine Holzkette kaufen, ursprünglicher Preis sollte 150 Rupien (etwa 2 Euro) sein. Nach ein paar Minuten Diskussion, Verweisen auf die schlechte Qualität usw. hat er dann 2 für zusammen 60 Rupien bekommen.
- Taj Mahal, Agra: Vor dem Eingang hat ein Typ versucht, uns eine Lederpeitsche zu verkaufen. Wollte es uns als Souvenir andrehen, aber irgendwie schon komisch, wem schenkt man denn eine Peitsche?? War aber qualitativ ganz ok
und sein erster "last price" war 40 US-Dollar. Schlussendlich, nach standhaftem Weigern hat er erst aufgegeben, als wir seine Peitsche nicht mal für 50 Rupien (70 euro-cent) kaufen wollten.
- Jaipur: Diesmal sind kleine, mit Plastikperlen beklebte Holzelefanten im Angebot. Ursprünglich wollte der anhängliche Verkäufer dafür 120 Rupien pro Stück. Bei 50 Rupien hat er uns dann erklärt, dass er bei dem Preis "no pro
fit" hat und hat bei allen ihm bekannten Göttern (hat ca. 30 Sekunden gedauert, bis er sie aufgezählt hatte) geschworen, dass es unmöglich ist, so schöne Elefanten noch billiger zu bekommen. Naja, am Schluss hat einer aus unserer Gruppe dann 10 Stück für insgesamt 100 Rupien gekauft.
Irgendwie ist das Verhandeln schon interessant und gehört einfach dazu. Wenn man nicht handelt, kann man sich auch sicher sein, dass man übers Ohr gehauen wird. Wobei bei manchen Sachen es mir schon einfach zu doof ist. Bei der Papaya, die ich heute nach 8 Stunden im Büro plus über 2 Stunden in überfüllten Bussen gekauft habe, hab ich die 20 Rupien einfach bezahlt. Hatte einfach keinen Bock und keine Energie mehr, wegen umgerechnet 5 cent ewig rumzudiskutieren. Aber meistens mache ich das schon, will ja auch nicht als doofer Tourist gesehen und ausgenommen werden!

Mittwoch, 2. September 2009

Cows

Um erstmal ein Gerücht zu zerstreuen: In Indien ist es sowohl erlaubt, Kühe zu schlachten, als auch Rindfleisch zu essen. Und selbstverständlich kann man es auch bekommen, wenn man sich bemüht, vor allem in internationalen Hotels.

Trotzdem isst hier eigentlich niemand Fleisch und schon gar nicht Rindfleisch. Im Hinduismus gilt die Kuh als heilig, weswegen man sie auch nicht schlachten und essen darf. Wer als gläubiger Hindu trotzdem nicht auf den Geschmack von Rindfleisch verzichten will, dem bleibt nur der Büffel, den man problemlos verzehren darf. Und da Büffel hier auch leben, ist das ganze eher unproblematisch.

Kühe sieht man hier aber regelmäßig, nur nie in einem Bauernhof oder etwas ähnlichem. Milch und Milchprodukte (vor allem Joghurt) sind sehr gefragt und so werden entsprechend viele Kühe benötigt, um den Bedarf zu stillen. Außerdem werden sie in der Landwirtschaft eingesetzt, vor den Pflug gespannt oder als Zugtiere für Wagen und Lastkarren genutzt. So ein Gefährt ist dann zwar langsam, aber immerhin müssen die Bauern nicht alles tragen.

In großen Städten sieht man die Kühe vor allem am Straßenrand rumstehen oder –liegen. Sie gehören in der Regel Leuten in der Nähe, die sie morgens und abends füttern, sie melken und sie nachts unter einem offenen, aber überdachten Flecken vor dem Haus schlafen lassen. Tagsüber sind die Kühe dann selbständig unterwegs, d.h. sie trotten auf der Straße rum, stehen in Gruppen am Straßenrand oder beschließen auch schonmal spontan, eine fünfspurige Umgehungsstraße zu überqueren: Was dann natürlich zur Folge hat, dass alle Autos anhalten müssen um zu warten, wie die Kuh mit unendlich langsamer Geschwindigkeit einen Fuß vor den anderen setzt.

Neben dem Rumliegen am Straßenrand und dem Rumstehen auf Straßen scheint die Lieblingsbeschäftigung der Kühe zu sein, auf Nahrungssuche zu gehen. Lieblingsziel der Kühe ist dabei der jeweils nächste wilde Müllhaufen am Straßenrand oder auf einem freistehenden Grundstück – es gibt kaum ein paar Quadratmeter Müll ohne eine Kuh in der Mitte, die zufrieden in einem Berg aus Plastik wühlt. Eigentlich ein trauriges Leben, viele Kühe sind auch stark abgemagert – was aber auch daran liegen kann, dass es einfach sehr viele alte Kühe gibt: Da sie heilig sind, werden sie mit fortschreitendem Alter von den Besitzern nicht etwa verstoßen, sondern nur umso mehr gefüttert.

Immer wieder ist es aber faszinierend, wie wenig die Kühe der Verkehr zu stören scheint, der in oft weniger als einem Meter an ihnen vorbeibrettert. Sie sind die einzigen Tiere, die sich in den verschmutzten Großstädten hier wohlzufühlen scheinen, trotz unvorstellbarer Luftverschmutzung und wenig grünen Flecken vor allem in den ärmeren Vierteln in denen die Kühe hauptsächlich anzutreffen sind.

Trotzdem würde ich mal wieder ein Steak essen. Heilige Tiere sind zwar schön und gut, aber warum können Religionen nicht mal Tiere heilig machen, die man nicht so gut verspeisen kann?