Dienstag, 13. Oktober 2009

Aktuelle politische Themen

Weil ich nach 2 Monaten in Indien nicht von mir behaupten will, mich auszukennen, habe ich mir einfach die „Times of India“, eine der größten (und meiner Meinung nach die beste) Tageszeitung gekauft. Die Ausgabe für den Bundesstaat Karnataka, wie große deutsche Tageszeitungen wird auch hier regional angepasst.
So, und jetzt wollen wir mal schauen, was es so gibt:
Ganz oben auf der Titelseite wird berichtet über die Wahlen in drei Bundesstaaten diese Woche. Die Umfragen prognostizieren in allen drei Staaten einen Sieg der Kongresspartei, allerdings dürfte es wohl nirgends zu einer absoluten Mehrheit reichen. Kongress ist hier grob gesagt „mitte-links“, also eher die Partei der Arbeiter und Bauern. Das Staatssystem in Indien ist ähnlich aufgebaut wie in Deutschland, das heißt in einem föderalen Staat teilt sich die Zentralregierung in Delhi die Macht mit den Bundesstaaten. Insgesamt gibt es knapp 30 Bundesstaaten - Karnataka, der Staat in dem Bangalore ist, hat ca. 120 Millionen Einwohner und gehört zu den größeren. Die Grenzen der Bundesstaaten sind grob entlang der Sprachgrenzen gezogen, d.h. jeder Staat hat dann auch seine eigene Sprache.
Aber zurück zur Zeitung. Oben rechts wird über die Folgen der Überschwemmungen in Karnataka berichtet. Vor etwa einer Woche ging es los, eventuell habt ihr davon auch in den deutschen Nachrichten gehört. Naja, auf jeden Fall ist die Ernte hunderttausender Bauern vernichtet, es gibt tausende Tote und noch viel mehr Obdachlose. Der Zeitungsartikel erläutert die möglichen Maßnahmen der Regierung von Karnataka, den Opfern zu helfen und das dafür notwendige Geld aufzutreiben. Anscheinend sind Mehrwertsteuererhöhungen im Gespräch. Das Wetter ist seit ich in Indien bin ein großes Thema – zuerst aber dominiert von einer Dürre in Nordindien, mit der Folge dass Millionen Bauern hungern werden. Verschärft wurde die Lage dadurch, dass wegen Stromknappheit die meisten Wasserpumpen nicht laufen konnten und damit auch keine künstliche Bewässerung möglich war. Die Maßnahmen der Regierung um den Bauern zu helfen, waren minimal.
Der dritte große Artikel auf der Titelseite erläutert die Wachstumsaussichten der Wirtschaft. Die Industrieproduktion ist im Jahresvergleich um 10,4% gestiegen, das Bruttoinlandsprodukt um „nur“ 6,5% - die Regierung verspricht jedoch, dass die aktuelle Krise bald überwunden ist und Indien zu gewohnten Wachstumsraten von mindestens 8% zurück kommt. Konjunkturpakete gab es hier übrigens keine. Weiter hinten in der Zeitung, aber passend zum Thema wird dann noch gemeldet, dass das Durchschnittsgehalt im Industrie- und Dienstleistungssektor dieses Jahr um 8% steigen wird. Wirtschaftliche Nachrichten sind hier ein erfrischender Gegensatz zu den deutschen: Positive Grundstimmung, die Verheißung auf eine bessere Zukunft, Erfolgstories.
Den Regionalteil über Bangalore werde ich mal auslassen. Wichtigste Nachricht dort ist ein Streik von Rikschafahrern gestern Nachmittag.
Im Teil „Times Nation“ gibt es zwei große Themen: Erstens die bevorstehende Militäroffensive gegen maoistische Separatisten (so genannte „Naxaliten“) in Indien. Gross diskutiert wird, ob es vertretbar sei, die Luftwaffe im Inland einzusetzen, um die Stellungen der Naxaliten zu schwächen, oder ob Spezialeinheiten der Armee angreifen sollen. Zweites wichtiges Thema ist der erfolgreiche Test einer indischen Rakete, die atomar bestückt werden kann. Ein weniger wichtiges Thema, das noch beleuchtet wird, ist die erfolgreiche Entwicklung einer neuen Behandlungsmethode gegen Diabetes durch ein indisches Forschungsinstitut.
Im Kommentarteil gibt es zwei große Themen: Die nuklearen Ambitionen des Iran und Pakistan. Iran wird hier ähnlich kritisch gesehen wie in Deutschland, mit dem Unterschied dass es hier weniger darum geht dass Iran irgendwelche Kontrolleure ins Land lässt sondern dass das Land nicht zur potentiellen Bedrohung für Indien wird. Pakistan wird hier erstaunlicherweise nicht als militärisch gleichwertiger Konkurrent gesehen, sondern als Hort von Instabilität und Unsicherheit, Terrorismus und Gewalt. Die Zusammenarbeit von den USA mit Pakistan wird dabei sehr kritisch gesehen und es wird regelmaessig von Anschlägen in Pakistan oder Problemen des Landes berichtet.
Der Teil „Times Global“ ist sehr kurz und beleuchtet Themen wie den gestern vergebenen Wirtschaftsnobelpreis, irgendeinen Besuch von Carla Bruni beim Psychiater und weiteres Weltgeschehen das man eigentlich nicht zu wissen braucht in Miniartikeln. Und natürlich nochmal Pakistan, die Story ist die ungerechtfertigte Verurteilung eines Regimekritikers in Lahore.
Der Wirtschaftsteil ist auch sehr kurz, es gibt hier gute Wirtschaftszeitungen die interessierte Leser für umgerechnet 5 Cent kaufen können (soviel kostet auch die Times of India). Die Soapstory der Wirtschaft ist der Bruderkrieg der Ambanis, zwei der reichsten und einflussreichsten Manager des Landes, die von Ihrem Vater das Konglomerat Reliance geerbt haben, geteilt haben und sich seitdem gegenseitig das Leben schwer machen. Außerdem gibt es noch verschiedene Erfolgsmeldungen von Unternehmen und Meldungen über das zunehmende Wachstum der Wirtschaft.
So, und jetzt bin ich bei den Anzeigen und dem Regionalteil, den ich aber mal auslassen will. Ich hoffe, das hat euch einen Einblick gegeben – natürlich ist die Liste der Themen nicht exklusiv und nur eine Momentaufnahme. Aber vielleicht ist das ja ein guter Startpunkt für eine Diskussion!

8 Kommentare:

  1. Danke! Super interessant!! Nachfragen folgen, habe jetzt Unterricht.
    Nur jetzt schon zwei kurze Fragen: was steht im Sportteil? Gibt es Todesanzeigen? Und falls ja, wie sehen die aus?

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  2. Hi,
    na, dann beantworte ich mal die ersten zwei Fragen: Es gibt keine Todesanzeigen, zumindest nicht in der "Times of India". Kann mich aber auch sonst an keine erinnern...
    Der Sportteil besteht zu etwa 50% aus Cricket, die "Indian Champions League" laeuft gerade. Der Rest setzt sich zusammen aus Fussball (eine Zusammenfassung der Laenderspiele vor allem aus Suedamerika), Tennis, Formel 1 und dann noch kleinen Artikeln ueber alles moegliche. Aber eindeutig dominant ist Cricket!

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  3. Keine Todesanzeigen? Gibt es das gar nicht? Und wie sehen Friedhöfe in Indien aus?
    Von den Naxaliten habe ich noch nie etwas gehört. Welche Ziele verfolgen sie? Ein maoistisches Indien? Oder ist das auch eine separatistische Gruppierung? Werden sie aus dem Ausland unterstützt (Pakistan?)?

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  4. Also ich habe noch keine Todesanzeigen gesehen. Friedhoefe gibt es sehr wenige, traditionell werden Leichen verbrannt und die Asche idealerweise in den Ganges gestreut. Oder ins Meer oder einen anderen Fluss, wenn der Ganges zu weit ist.
    Von den Naxaliten weiss ich auch nicht viel. Aber es gibt hier immer mal wieder Probleme mit kommunistischen Rebellen. Von auslaendischer Unterstuetzung stand in der Zeitung nichts, wenn Pakistan was damit zu tun gehabt haette, waere das bestimmt ausgeschlachtet worden! ;-)
    Ich verweise jetzt einfach mal auf Wikipedia, fuer alle die mehr ueber die Naxaliten wissen wollen: http://de.wikipedia.org/wiki/Naxaliten

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  5. wie hoch ist die auflage von der zeitung? und gibts auch kleinere regionale zeitungen oder eben nur die regionalausgaben??

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  6. Puh, gute Fragen...
    Also in der Zeitung selbst steht keine Auflage, aber laut Internetquelle werden taeglich 3,1 Millionen verkauft, in ganz Indien. In allen groesseren Staedten gibts ausserdem Regionalausgaben, wie hier die beigelegte "Bangalore Times". Englischsprachige Zeitungen machen aber auch nur einen Teil des Marktes aus, Zeitungen auf Hindi oder in der jeweiligen regionalen Sprache sind auch verbreitet.
    Leider kann ich zu den Regionalzeitungen wenig sagen - auf englisch gibt es keine, aber ich vermute mal, dass die regionalen Zeitungen hier dann auch in Kannada (die Sprache in Bundesstaat Karnataka) verfasst waeren. Und das kann ich leider nicht lesen... und also auch nicht erkennen, ob es nun eine regionale Zeitung ist. Tut mir leid, die Antwort ist nicht so der Hammer... :-(

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  7. Also Nils, das ist schon sehr enttäuschend! Ich dachte, dass du nach einigen Wochen Kannada lesen und schreiben kannst!!!!!!! Was ist los mit dir???? Hindi wirst du aber schon können, oder?

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  8. Hallo Nils und alle anderen,
    Todesanzeigen gibt es teilweise kleine Boxen fuer vor allem die Christen, dazu kommen noch mehr Anzeigen an Jahrestagen fuer Verschiedene (alle Religionen). Friedhoefe gibt es fuer die Christen und die Muslime und einige wenige Untergruppen der Hindus, die nicht verbrennen. Meist sind grosse Mauern drum, dahinter Gedenksteine, aehnlich denen im suedlicheren Europa (wenn man da verallgemeinern kann).
    Viele Gruesse nach Bangalore, Tanja

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